Nun, um es vorauszuschicken, die Politik der Stadt Osterode und ihres Ortsteils Lerbach hat diesen Mut bewiesen und sich einer fremden Realität gestellt. Jedenfalls durch ihre Vertreter Jens Augat, Olivier Kutscher, Jörg Hüddersen, Wolfgang Schubert, Konstantin Müller und Frank Koch. Zugegeben, die Reise war nicht allzu weit, die freundliche Aufnahme von vornherein garantiert und Aliens hat auch niemand gesehen (nicht einmal Wildschweine). Aber doch haben die meisten einen Blick in eine fremde Realität gewagt.
Für den Osteroder Bürgermeister Jens Augat war es „total faszinierend“, die Virtuelle Welt des Bleistifthauses in Lerbach zu betreten: „Ich hätte noch Stunden darin weitermachen können“, bekannte er. Konnte er aber nicht, der Zeitplan vor der letzten Ratssitzung des Jahres war eng getaktet. Ohnehin ginge es ja bei dem Projekt auch um Größeres, betonte Augat, er hoffe, dass Besucher des Bleistifthauses auch den Weg nach Osterode hinein finden und sich die schöne Stadt anschauen, die in der Realität viel mehr zu bieten habe, als viele Osteroder manchmal selber glauben möchten.
Wolfgang Schubert, Stadtrat in Osterode, fand es „faszinierend, in eine andere Welt einzutauchen“. Er habe sich in der Virtuellen Realität „wohler gefühlt, als mit Blatt und Papier“. So weit mochte Olivier Kutscher, Ortsbürgermeister von Lerbach nicht gehen: „Wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber mit echten Bleistiften hantieren, als mit virtuellen“. Aber es müsse beides geben, sagt er, deshalb stehe er dem Projekt auch positiv gegenüber und hoffe, dass dadurch auch Lerbach bekannter werde.
Doch wie real war die Virtuelle Welt nun für ihre neuen Besucher? Jörg Hüddersen, der SPD-Ratsfraktionsvorsitzende von Osterode fühlte sich da zwiegespalten: „Realität ist für mich, was wir in unserem Kopf als Realität konstruieren“. Ein klarer Standpunkt, aber mit der VR-Brille auf dem Kopf war die Sache nicht mehr so eindeutig: „Für einen Teil im Kopf war die Virtuelle Realität nur das, was ich durch die Brille sehe, für einen anderen Teil war das auch real“.
Nun denken Politiker bei der Frage nach der Realität wohl auch selten an Außerirdische und fremde Welten, sondern eher an den Raum des Möglichen, den die Politik bestellen muss. Deshalb sei dieses Bleistifthaus hier auch ein Beispiel für „gelebte Kunst in der Realität“, sagte Kutscher, indem einem Haus in der zweiten Reihe des Ortes neues Leben eingehaucht werde und nun Leute, fernab von all den Schwierigkeiten in der realen Welt außerhalb, in den Harz kämen und hier tolle Sachen machen könnten.
Ach ja, die Welt außerhalb: Er hätte schon manchmal das Gefühl, bekannte Augat, dass uns die Realität in der Gesellschaft langsam abhanden komme. Viele redeten die Dinge schlechter als sie sind und immer weniger setzen sich mit der wirklichen Realität auseinander, mit den bestehenden Möglichkeiten etwa. „Inzwischen ist es doch so, dass bald jeder seine eigene Realität hat“, sagt Augat, auch das trage zur Spaltung der Gesellschaft bei.
Frank Koch, ehemaliger Ortsbürgermeister von Lerbach, der 35 Jahre lang dieses Amt bekleidet hatte, denkt bei Realität vor allem an die Veränderungen, die er in den letzten Jahrzehnten in Deutschland und in der Welt beobachtet hatte. Wenn einem die eigene Gegenwart immer fremder wird, bleibt sie dann für einen selbst noch genauso real wie die Vergangenheit, die einem heute vielleicht noch viel näher liegen würde? „Jetzt vor Weihnachten“, sagt Koch, „kommt die (alte) Realität zurück, da treffen sich die Familien, schmücken die Häuser, so wie es vor 100 Jahren auch war“.
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