Ja die Ulla. Sozialarbeiterin, Kunsttherapeutin. Hat sich schon mit einer Gruppe derzeitiger oder ehemaliger Wohnungsloser vor einem Jahr an Ob(D)Acht beteiligt und sammelt diesen Schwarmkunstsommer ihre Schäfchen auf dem Weg von der ZBS zum Weißekreuzplatz ein. Die Ulla habe ihn unterstützt, als es am schlechtesten um ihn stand, nach der Scheidung, als er sich verloren hat. Sagt Arthur.
Das war vor zehn Jahren. Der Absturz. Doch inzwischen hat er wieder eine eigene Wohnung und den Wodka braucht er nicht mehr, ist seit einem Jahr trocken. Wie er das geschafft hat? Dank Ulla. Arthur, der Deutschrusse aus Omsk, ist des Lobes voll über die Sozialarbeiterin, die heute von ihren jungen Kolleginnen Julia und Bettina begleitet wird. Alle sind engagiert beim Schlauchflechten, auch Arthur ist mit sichtlicher Begeisterung dabei. „Die eigene Kreativität auszuleben ist wichtig“, sagt Ulla, „besonders in einer Zeit nach dem Alkohol“. Kunst lenke ab, im positiven Sinn.
Positiv denkt auch Cissé. Der Bauarbeiter aus Mali ist seit vier Jahren in Deutschland und bemüht, sich gut zu integrieren. Bei der Schwarmkunst gelingt dies schon einmal ausgezeichnet. Für den großen Rest sei besonders die Sprache wichtig, sagt Cissé in gutem Deutsch. Ein Jahr sei er dafür zur Schule gegangen, für die bessere Integration. Um hier richtig anzukommen. Seine beiden Töchter, 12 und 17 Jahre alt, hat er in Mali gelassen. Ob er sie denn eines Tages zu sich holen möchte? „Oh nein, dort gehen sie in eine gute Schule, hier wären sie nur Ausländer, wie ihr Vater“, sagt Cissé und lächelt.
Die einen gehören eben dazu und die anderen – irgendwie nicht so ganz. Jedenfalls scheint das auf dem Weißekreuzplatz so zu sein. Hier stößt das entweder oder doch an seine Grenzen. Schließlich handelt es sich hier um einen öffentlichen Platz, der demnach auch der Öffentlichkeit – uns allen also – zugänglich sein sollte. In der Praxis ist das jedoch nicht so einfach. Rund zwei Drittel der Fläche werden von der Mondlandschaft der Baustelle beherrscht. Sind abgesperrt und unzugänglich. Das Areal soll nach erfolgtem Umbau dann auch nicht mehr allen, sondern nur bestimmten Nutzern für Sport und Spiel zur Verfügung stehen. Von der anderen Seite hat sich die kommerzielle Gastronomie ein großes Stück vom Platz einverleibt. Dort dürfen alle hin - wenn sie es sich leisten können. Und das sind leider bei weitem nicht alle.
Manche bleiben jetzt einfach weg. Still und leise. Es sind diejenigen, die ihre sozialen Kontakte, also das, was ein Leben erst lebenswert macht, vor allem hier auf dem Platz fanden. Vorher, als man für den Aufenthalt noch nicht bezahlen musste, hatten auch zahlreiche Bewohner eines nahen Pflegeheims ihren angestammten Ort. Für sie ist jetzt kein Platz mehr auf dem Platz. Und anderswo wahrscheinlich auch nicht. Der öffentliche Raum ist eine begehrte Ressource, doch in unserer Gesellschaft sind die Möglichkeiten, ihn zu nutzen, sehr ungleich verteilt. Vor allem: während einige nur dabei sein wollen, trachten andere danach, sich diesen Raum anzueignen. Ihn der Allgemeinheit zu entziehen. Zum eigenen Vorteil.
Deshalb stößt das Konzept für die Platzneugestaltung auch auf wenig Begeisterung bei jenen, die ihr gemeinsames Feierabendbier nur noch auf der Bankreihe unterm Laubengang trinken können. „Scheiße sei das“, sagt einer, der die Belebung selbst aber gar nicht schlecht findet. Jedenfalls in dem schmalen Bereich, auf dem sich die Schwarmkunst tummeln darf. Es sei doch schön, wenn jetzt auch mehr Eltern mit Kindern auf den Platz kämen. Berührungsängste haben offenbar andere.
Reiner würde sich auch freuen, wenn es hier mehr schöne Musik zu hören gäbe. Oder ein Public Viewing zur Fußball-WM oder -EM. Darin stimmen auch die anderen ein. Nach kurzem Nachdenken fügt er jedoch hinzu: „Aber nur, wenn es auch für Menschen mit wenig Geld zur Verfügung steht“. Man hat halt so seine Erfahrungen. Mit dem Anderen.