Am Abend dann die Expertenrunde mit hochkarätiger Besetzung. Neben Hannovers Ordnungsdezernent Axel von der Ohe waren der Leiter des Polizeidezernats Prävention Markus Häckl, Asphalt Redaktionsleiter Volker Macke, Jamal Keller von der ZBS und Max als Vertreter der inkriminierten Randgruppe des Platzes der Einladung des Schwarmkunst Vereins gefolgt. Moderator Lars formulierte die Ausgangsfrage: wer darf wie den Platz nutzen? Sei das Modell der griechischen Agora nicht auch für den Weißekreuzplatz das anzustrebende Ideal oder gar der schnell zu verwirklichende Sollzustand?
Ein Ideal, das vermutlich nicht einmal in der Vorbildpolis Athen realisiert worden sei, wie Axel von der Ohe anmerkte. Also von wegen die Agora als Platz für alle, es habe dort mehr Ausgeschlossene als Inkludierte gegeben. Es sei auch nicht das Ziel, jemanden auszuschließen, aber es habe hier eine Disbalance geherrscht, die es zu beheben gelte.
Keine Vertreibung sagt die Stadt, das habe auch Sozialdezernentin Sylvia Bruns gegenüber Asphalt bekräftigt, weiß Volker Macke zu berichten, allerdings nur für den Weißekreuzplatz, nicht für die angrenzenden Rasch- und Andreas Hermes Platz. Überdies würden derartige Versicherungen in Hannover schnell in Vergessenheit geraten.
Keiner hat die Absicht eine Vertreibung durchzuführen und nicht nur Karin Powser fühlt sich dabei an Walter Ulbricht erinnert. Tatsächlich möchte die Stadt auf dem Platz ja die Nutzergruppen "sortieren und ordnen", wie von der Ohe bemerkte, also mehr Raum für die einen schaffen und weniger für die anderen lassen.
Zu diesen anderen zählt Max. Vor viereinhalb Jahren sei er nach Hannover auf den Weißekreuzplatz gekommen und habe hier als Obdachloser gelebt. Sein Glück sei der Super-Sozialarbeiter gewesen, der ihn und andere in Wohnungen gebracht habe. Seitdem träfen sie sich weiterhin hier auf dem Platz und ein Bier gehöre einfach dazu. Doch dieser Platz, jedenfalls der Teil, der ihnen und anderen Nutzern zur Verfügung stünde, schrumpfe ziemlich zusammen. Bald bliebe nicht mehr viel übrig, hier vorn die kommerzielle Gastronomie, da hinten der neue Spielplatz, in dessen Umfeld ja auch kein Alkohol getrunken werden dürfe. Was übrigens mit Blick auf die Kinder auch gut so sei.
Aber allein durch die Gastronomie habe die Vertreibung bereits eingesetzt. Den Alten vom nahen Seniorenheim, die sich regelmäßig hier aufgehalten hätten, habe man die Bänke genommen und die kommerziellen Angebote könnten die nicht bezahlen.
Solche "Wechsel" werde es weiter geben, bestätigte von der Ohe, aber wer sich an die Regeln halte, dürfe auch nicht "aktiv" vertrieben werden. Regeln also. Die maßgeblichen Regeln werden in Deutschland von Parlamenten erlassen und zwar in Form von Gesetzen. Wer die nicht befolgt, macht sich strafbar und wird ein Fall für die Polizei (und später für die Gerichte).
Fragen wir also die Polizei: ein Kriminalitäts-Hotspot sei der Weißekreuzplatz keinesfalls, sagt Markus Häckl, aber es gebe auch so etwas wie gefühlte Sicherheit. "Ich fühle mich unsicher, wenn ich das Verhalten des anderen nicht verstehe oder es gar als bedrohlich empfinde". Dem könne man aber begegnen, indem man in Austausch miteinander käme, um sich kennenzulernen. Deshalb sei das hier - und vermutlich meinte er nicht nur die Runde, sondern das ganze Schwarmkunstprojekt - auch ausgesprochen positiv. Wegen des Austauschs.
Drogensüchtige aber überschritten die Regeln und das dürfe man nicht hinnehmen, sagte von der Ohe. Nun seien Obdachlose aber nicht mit Drogensüchtigen gleichzusetzen, warf Jamal Keller wortreich ein. Und überhaupt gebe es doch auf dem Platz nicht mehr Straftaten als anderswo, wurde in der Diskussion rekapituliert, man halte sich doch hier an die Regeln.
Doch das genügt offenbar nicht. Nicht für die Randgruppen. Die müssten auch Verantwortung für den Platz übernehmen, präzisierte von der Ohe die Ansprüche an diese Menschen, die sich die kommerziellen Angebote nicht leisten können. Verantwortung zum Beispiel für das öffentliche Klo auf dem Platz, das ja, wie man wüsste, in einem beklagenswerten Zustand sei.
Leider wurden diese seltsamen Bedingungen für die Teilnahme am öffentlichen Leben und den Aufenthalt im öffentlichen Raum auf der Veranstaltung nicht mehr weiter thematisiert. So blieb dieses Modell eines Dreiklassen-Zugangs für die bahnhofsnahen Plätze im (öffentlichen) Raum stehen: vom Raschplatz werden Drogenabhängige und sonstige Regelbrecher ebenso aktiv vertrieben wie die Obdachlosen. Diese bilden dann wohl die unterste Klasse. Einige von denen ziehen weiter zum Weißekreuzplatz und besudeln das dortige Klo, wohl nicht zuletzt, weil es dort seit Jahren kein Klopapier gibt (wie Max erzählt). Dieses Klo muss dann offenbar die "Randgruppe" (Klasse 2) säubern, bevor sie das Recht erhält, sich weiter auf dem Platz aufzuhalten (ohne die teuren Angebote des kommerziellen Biergartens zu nutzen. Anschließend werden sie höchstens passiv vertrieben). Klasse eins müssen dann die besser situierten Bürger sein, die hier bald sehr viel PLATZ für sich allein haben werden.