Die Schatten ziehen gemächlich auf den Weißekreuzplatz, schaffen Raum für entspanntes Co-Working in der Schwarmkunst. Tropfen für Tropfen füllt sich der Platz. Bis zuletzt bleiben die Bänke unterm Laubengang in der Sonne, darauf ein unauffälliges Volk, meist vereinzelt.
Unauffällig für Außenstehende wohlgemerkt. Wer den Platz kennt und um den Grund für die gegenwärtigen Maßnahmen dort weiß, merkt auf. Ja, es scheint zu wirken, die problematische Klientel bleibt zunehmend fort, die wenigen Außenseiter fallen kaum auf.
Natürlich hatte niemand dieses Ziel verfolgt. Das darf man keinem unterstellen. Schließlich handelt es sich um einen öffentlichen Raum. Da soll natürlich niemand vertrieben werden. Nicht einmal diese „Fremdnutzer“, wie sie ein Anwohner auf einer öffentlichen Veranstaltung nannte. Als handele es sich bei ihnen um Aliens.
Das Fremde macht ja oft Angst. Besserenfalls irritiert es. Zum Beispiel die Straßenmusik. Der Blogger liebt Straßenmusik, aber Lars gibt zu bedenken, dass sehr ungewöhnliche Klänge auch verstören, ja, nerven können. Zum Beispiel der Bulgare in der Fußgängerzone, bevor sie die Musiker und Musikerinnen reglementiert haben. Hörgewohnheiten seien da ausschlaggebend. Für die Akzeptanz.
Womit wir schon bei der Zwölftonmusik sind. Der Arnold Schönberg werde doch eher überschätzt, meint Peter. Adorno hin oder her. Hörgewohnheiten, wirft Lars ein. Wagner, sagt Peter. Also einige Orchesterstücke aus dem Parzival höre er ja wirklich gern, aber im Ganzen könne ihm die Oper auch gestohlen bleiben.
Vor allem dieses Pathos, wirft der Blogger ein und Lars stimmt vehement zu: vor allem dieses Pathos! Nietzsche, sagt Peter. Den habe am Ende ja genervt, dass Wagner immer auf Erlösung ging. Obwohl er ja den „Ursprung der Tragödie…“, wirft der Blogger ein, dem Wagner gewidmet hat, ergänzt Peter. Aber danach kam das Zerwürfnis. Na ja, Genies unter sich, sagt Lars.
Außenseiter eben, alle beide, aber auch nicht wirklich außen vor. Nicht wie die Aliens. Oder die Mitarbeiter des Kulturbüros. Die sind natürlich keine Außenseiter, schon weil es bei der Schwarmkunst keine wirklichen Außenseiter gibt. Aber weil Teil der Genehmigungsbehörde auch etwas außer Konkurrenz. Außen vor. Nach der Mengenlehre eben Elemente einer übergeordneten Menge, die sich temporär unter eine Teilmenge mischt. Fremdgänger also. Die spannende Frage am Ende ist ja immer: was folgt daraus?
Eine Maus. In diesem Fall war eine Maus das Ergebnis. Schlauchgewirkt (siehe Foto). Und es hat Spaß gemacht, sagt Stephanie, oft sei es nicht einfach, mal mit dem ganzen Team etwas gemeinsam zu machen. Die Schwarmkunst hat es ermöglicht.
Mäuse sind ja auch nur Menschen. Wie die Götter. Bei Wagner zum Beispiel. Denen hat er ja schließlich alles untergejubelt, meint Peter, jeden Betrug, Inzest, jede Verleumdung. Das war ja in der Klassik eine beliebte Spielwiese, die griechische Götterwelt. In der wirklichen Welt hatten unsere pathetischen Kulturheroen ja wenig Ambitionen. Eher ganz im Gegenteil. Man hatte sich ja eingerichtet, was kümmerten einen da die Massen, ďie darbenden Unterschichten. Irgendwie waren das doch Außenseiter, diese ganze Mehrheit. Jedenfalls im Vergleich zu ihnen, den Genies.
„Wenn rohe Kräfte sinnlos walten…“, kaum irgendwo bricht sich die Angst des saturierten Bürgers vor den ungezügelten Massen deutlicher Bahn, als in diesem Gedicht. „Die Glocke“. Diese Maßregelung (nach unten versteht sich) musste sein. Danach wanderte das Pathos und alles, was politisch gedeutet werden könnte (nach oben etwa), auf den Pantheon. Bildungsbürgerlich, unverfänglich.
Wie bei der Science fiction im real existierenden Sozialismus (wer sagt das? Der Blogger? Das Gewissen? Egal). Asimov?, fragt Lars. Strugatzki, Boris und Arkadi, sagt der Blogger. Stanislaw Lem. Und und und. Man konnte so gesellschaftliche Missstände thematisieren, ohne von der Zensur belangt zu werden. Ging ja nur um Aliens. Marsmenschen, sagt Peter, da waren es die Götter, hier sind es die Marsmenschen.
Und die Aliens auf den Bänken sind verschwunden.